Der Ansturm auf die „Türme des blauen Himmels“ – Rückblick auf ein ganz besonderes Wandererlebnis
Gesamtlänge: ca. 20 Kilometer; Schwierigkeit: mittel bis schwer
Patagonien ist eines der schönsten und vielfältigsten Wandergebiete der Welt. In Chiles bekanntem Nationalpark Torres del Paine können Naturliebhaber:innen diverse ein- oder mehrtägige Wanderungen unternehmen. Die beliebteste Tour führt hinauf zum Wahrzeichen des Parks, den drei „Türmen des blauen Himmels“.
„Das schaffe ich auch!“, sagte ich mir, als ich Ende 2018 den Beitrag der Reise-Bloggerin Petra über ihre Wanderung zum „Mirador Las Torres“ las. Ich befand mich gerade in den Vorbereitungen für meine erste – und bisher einzige – längere Auszeit: dreieinhalb Monate Südamerika. Wandererfahrung hatte ich bis dahin nur auf kleineren Touren gesammelt. Den berühmten W-Trek im Nationalpark Torres del Paine traute ich mir damals nicht zu. Aber ich wollte unbedingt zu Füßen der drei schroffen Granittürme stehen, denen der Park seinen Namen verdankt.
Torres del Paine: Wanderparadies im Süden Chiles
Als ich am Morgen des Aufbruchs im Zelt liege, an dem unerbittlich der Wind zerrt und rüttelt, frage ich mich, ob ich da jetzt wirklich raus will. Ich kuschle mich tiefer in meinen Schlafsack und lausche dem unheimlichen Heulen und Rauschen der Böen. Klingt sehr ungemütlich – aber jetzt wird nicht gekniffen! Die vor mir liegende Tour ist wohl die spektakulärste, aber auch eine extrem schweißtreibende Tageswanderung im Parque Nacional Torres del Paine weit im Süden Chiles. Es ist ein grauer Tag Anfang Februar 2019 – eigentlich Sommer in Patagonien, doch die Temperaturen liegen gerade mal bei 8 Grad.
In diverse Schichten Kleidung eingepackt sitze ich auf einer nassen Holzbank und es regnet in mein Müsli. Die eigentlich spektakuläre Bergkulisse hinter mir ist regenverhangen, Wolkenfetzen rasen über den Himmel. Ok, dann jetzt also wandern. Und wir sind bei Weitem nicht die ersten, die sich an diesem unwirtlichen Tag auf den Weg hinauf zu den berühmten drei Gipfeln machen, deren Name in der Sprache der Einheimischen „Türme des blauen Himmels“ bedeutet. Viele der Zelte im Campamento Torre Central, dem Ausgangspunkt unserer Tour, flattern bereits verlassen im Wind, ihre Bewohner sind noch vor der Morgendämmerung aufgebrochen. Ich frage mich, ob manche nach ihrer Rückkehr wohl noch etwas von ihrer Behausung vorfinden. Sieht nicht sehr vertrauenerweckend aus, wie manche Zelte vom starken Wind flach auf den Boden gedrückt werden.
Aufstieg zum Campamento Chileno
Wir starten bei Nieselregen, immer in Sichtweite anderer Natur- und Wanderenthusiasten. Noch ein Blick zurück zu unserem Zelt – sieht gut aus. An der ersten Brücke, die einen der zahlreichen Flüsse des Nationalparks quert, müssen wir warten, denn nur maximal 2 Personen gleichzeitig dürfen sie passieren. Eine Brücke später hat sich das Feld schon etwas mehr entzerrt. Die Landschaft vor uns ist gesprenkelt von Farbtupfern – Menschen in mehr oder weniger bunter Funktionsbekleidung.
Wir sind nicht gerade die schnellsten Wandersleute, aber nach zwei Stunden erreichen auch wir die erste Station, das Campamento Chileno. Hier reihen wir uns erst einmal bei den Toiletten und den Frischwasserbehältern in die Schlangen der Wartenden ein. Irgendwie hatten wir uns das Ganze anders vorgestellt, mehr als einsames Naturerlebnis, aber bestimmt nicht so überlaufen. Kurze Rast im Camp. Die leuchtend grünen Zelte, die auf Holzpodesten im Buchenwald stehen, sind um diese Zeit verwaist. Alle sind unterwegs – hinauf zu den Torres oder wieder hinunter zum Basislager.
Torres del Paine: Höchster Gipfel ist 3050 Meter hoch
Für uns geht es weiter am Ufer des reißenden Rio Ascendio, bis wir schließlich den Abzweiger zum Mirador Las Torres erreichen. An diesem Nadelöhr zeigt sich nun extrem, wie unglaublich viele Menschen sich den steilen Geröllhang hinauf- und wieder herunterquälen. Wie eine Ameisenstraße zieht sich das Band der Wanderer am Berg entlang.
Als sich zu den heftigen Böen auch noch ein weiterer Schauer gesellt und ich schwer atmend eine Gruppe entgegenkommender Wanderer passieren lasse, frage ich mich erneut, was ich eigentlich hier mache.
Spektakulärer Ausblick am Mirador Las Torres
Doch dann erreiche ich nach schier endlosem Anstieg den höchsten Punkt und erhasche zwischen Felsblöcken einen ersten Blick auf die drei Gipfel, den Gletscher und die darunterliegende Lagune, die auch bei grauem Himmel in den verschiedensten Blautönen leuchtet. Ja, dieser Ausblick ist wirklich überwältigend. Jetzt wird mir klar, warum all die Menschen, die wie an einer Perlenschnur hinter mir den Hang erklimmen, sich genau wie ich für dieses Ziel entschieden haben.
Torres del Paine: Schroffe Berge und türkisblaue Seen
Auf dem Rückweg zu unserem Basislager frischt der Wind noch einmal ordentlich auf. An einigen Stellen müssen wir uns ganz schön in den Boden stemmen, um nicht vom Weg geweht zu werden. Doch einen Vorteil hat der stramme Wind: Es klart auf und uns bietet sich ein wunderbarer Blick über den Lago Nordenskjold.
Total erledigt erreichen wir – immerhin vor Einbruch der Dämmerung – wieder das Campamento Torre Central. Die Nudeln und das im Fluss gekühlte Cerveza Austral schmecken nach dieser Tour besonders köstlich. Wir sind müde, aber auch ein wenig stolz: immerhin haben wir ein Stück vom „W“ geschafft – ein „I“ sozusagen. Und beim nächsten Mal wandern wir einen anderen Buchstaben!
Hallo Dagmar, das hört sich toll an. Du solltest Dich weiter als Schriftstellerin einbringen, hast einen interessanten und gleichzeitig witzigen Stil, unterlegt mit diesem tollen, subtilen norddeutschen Humor. Denken noch oft an den Abend, an dem Du uns diese überwältigenden Bilder gezeigt hast. Gruss Anne
Liebe Anne,
vielen Dank für dein tolles Feedback! Es freut mich total, wenn Menschen Spaß haben beim Lesen meiner Texte.
Ich mache auf jeden Fall weiter – mit dem Reisen und dem Teilen meiner Eindrücke!
Liebe Grüße, Dagmar